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Hallo, die sms-Nachricht schlägt bei mir ein wie eine Bombe: “First capture of dolphins this season in cove of Taiji” (Erster Delfinfang der Saison in der Bucht von Taiji). Soeben habe ich mich an einen stillen Ort in den Bergen der Kii-Halbinsel zurückgezogen, um am Buch über die Delfinjagd weiterzuschreiben. Da ich in der selben Präfektur (Wakayama) bin, wo auch die Delfinjagd stattfindet, ist es natürlich buchstäblich naheliegend, hinzugehen.

Bald bin ich im Zug und einige Stunden später erneut in Taiji. Hier treffe ich Mike, einen amerikanischen Biologen, der lange in Japan gelebt hat und den ich während der Dreharbeiten für den Discovery-Channel zehn Tage zuvor kennengelernt habe. Bin froh, nicht allein zu sein! Was wir die kommenden Tage ansehen müssen, ist absolut schwer verdaulich. Rund 100 Delfine, seit Tagen eingesperrt in der Bucht, seit Tagen in Panik und hungernd. Auch der grösste Laie muss den Stress erkennen, in welchem sich dieTiere befinden. In chaotischem Durcheinander durchpflügen und peitschen sie unablässig das schmutzig- aufgewühlte Wasser der Bucht. Ihre Atemgeräusche sind keuchend, hustend, gepresst.

Wie halten uns versteckt an einem Beobachtungspunkt auf dem Tsunami-Berg, gegenüber der Bucht, wo man einen guten Einblick hat, fotografieren und filmen unerkannt. Oder wissen die Jäger und Delfinhändler bereits, dass wir wieder da sind? Sicher ist: Da unten schwimmen nur noch Tümmler; das ist an ihrer Färbung und ihren Rückenflossen eindeutig zu erkennen. Die rund 50 Grindwale, welche die Jäger zuvor ebenfalls in die Bucht getrieben haben, sind bereits tot. Abgeschlachtet in üblicher Manier, versteckt in der Todesbucht, die jetzt wieder trügerisch türkisblau erscheint, nachdem sich das Blut verflüchtigt hat.

Bald kommt noch mehr Unruhe in die Bucht. Boote fahren herein und übertönen die gehetzten Atemgeräusche und verzweifelten Pfeiflaute der gefangenen Tümmler. An der Strasse fahren immer mehr Lieferwagen auf. Der Strand bevölkert sich mit Jägern und Delfinhändlern in schwarzen Neopren-Anzügen. Nun bricht unter den Tieren endgültig die nackte Panik aus. Jetzt beginnt die Auslese. Jäger und Händler haben bewusst mehrere Tage gewartet bis zu diesem Selektionsprozess, vermuten Mike und ich. Die Tiere sind durch den Hunger und das unablässige angstvolle Herumschwimmen hinter den Netzen völlig erschöpft und setzen sich in der Folge weniger zur Wehr.

Bald sind wohl an die 20 Männer im Wasser und stürzen sich auf die Delfine, packen sie, binden sie an der Schwanzflosse an den Booten an und zerren sie rückwärts zum Strand. Da werden sie von mehreren Männern und auch Frauen festgehalten, vermessen, untersucht und dann in eine Art Tragbahre verpackt. “Wie beim Sklavenhandel”, bemerkt Mike bitter: “Und ihr Leben wird auch ein Sklavenleben sein, eingesperrt in enge Becken für den Rest ihres Lebens, ihrem Familienverband brutal entrissen und in eine fremde, schreckliche Welt gesteckt.” Leider kann ich dem Biologen nur beipflichten: Lebenslange Haft, degradiert zum Clown und scheinbar ewig lächelnden Kuscheltier. So sieht hier die menschliche “Liebe” für den Delfin aus… Derweil fahren die Boote Tier um Tier aus der Bucht hinaus, in eine Gefangenschaft, der sie nie mehr entkommen werden.

Der Prozess der Delfinauslese dauert volle zwei Tage. Die Tümmler sind immer mehr ausgehungert. Immer erschöpfter. Mike und ich haben unser Versteck verlassen. Längst sind wir erkannt worden. Immer weiter wagen wir uns mit Kamera und Fotoapparat vor, bis wir schliesslich – zu unserem eigenen Erstaunen – direkt am Strand mitten in der Bucht stehen, vielleicht 20 Meter von den Jägern und Händlern entfernt. Nicht, dass daran irgendetwas verboten wäre. Wir stehen auf öffnetlichem Boden! Aber welch ein Kontrast: Elf Monate zuvor war ich ebenfalls hier, um als Journalist Aufklärungsarbeit zu leisten. Doch damals hatte ich mich oben an der Strasse mit meiner Kamera bloss einige Meter weiter vorgewagt, als es den aufgebrachten Delfinjägern genehm war; da stürzte sich eine ganze Meute auf mich, zerrte mich zu Boden, schleifte mich zurück auf die Strasse und bedrohte mich massiv, wie auch in Filmaufnahmen in “The Cove” zu erkennen ist.

Auch wenn ich damals nicht körperlich verletzt wurde – der Kontrast ist unglaublich. Nun stehen wir da, fotografieren und filmen, unbehelligt von Jägern und Händlern. Doch was wir aufnehmen, ist ein Alptraum. Die Geräusche, Gerüche und die ganze Stimmung aber lassen sich nicht auf Film bannen. Sie sind für uns nur spürbar, auf schreckliche Weise. Das aufgepeitschte Wasser in der Bucht ist nun eine trübe, hellbraune Brühe. Die Delfine sind dadurch komplett desorientiert, “blind” und verheddern sich gleich reihenweise in den Fischernetzen. In Todesangst winden sie sich, um an die Oberfläche zu kommen, ringen keuchend nach Luft, schlagen um sich und verwickeln sich nur noch schlimmer. Immer entkräfteter kämpfen sie ums Überleben, bis endlich einige Jäger und Delfintrainer sich teilnahmslos daran machen, die geschundenen Meeressäuger aus ihrer tödlichen Umwicklung zu befreien. Zu spät für einige Tiere. Sie sind ertrunken oder am Stress zugrunde gegangen. Drei tote Delfine bringen die Fischer weg und binden die leblosen Leiber drüben, in der versteckten Todesbucht, an einem Felsen fest.

Die Auslese kommt Mike und mir wie eine Ewigkeit vor. Noch immer stehen wir da, filmen und fotografieren, zunehmend benommen von diesem absolut lebensverachtenden Treiben vor unseren Augen. Keine drei Meter entfernt, direkt unter mir, haben sich zwei grosse Tümmler heillos in einem Netz verheddert. Erschöpft zappeln sie im untiefen Wasser, ringen nach Luft und scheuern sich an den rauen Uferfelsen blutig. Weil ein leeres Boot die Sicht verdeckt, können die Jäger und Trainer die Tiere nicht sehen. Niemand kommt. Schon scheinen die beiden geschundenen Delfine ihren Kampf ums Überleben aufzugeben. Ich halte es nicht mehr aus. Will ihnen helfen. Doch alleine bin ich machtlos. Zu schwer sind die Tiere und zu sehr eingewickelt. Und zweifellos wäre dies der Moment, wo sich die Delfinjäger wieder auf mich stürzen würden. So stelle ich mich gut sichtbar auf dem Felsen auf und winke den Jägern zu; deute unablässig auf die Stelle, wo die beiden Delfine mit dem Tod ringen. Einige schauen her, aber niemand reagiert – zunächst. Doch dann kommt ein Mann im Neoprenanzug herüber – und steigt ins Wasser. Schliesslich mühen sich vier Männer ab, die beiden grossen Tümmler freizukriegen. Die völlig ermatteten Tiere sind gerettet.

Schliesslich wird es allmählich ruhiger in der Bucht. Die am besten geeigneten Tiere sind ausgelesen und weggebracht: Die Trainer nehmen nur junge Tiere und Weibchen. Diese lassen sich besser trainieren und sie haben weniger Narben als ältere Tiere und Männchen, die oft “Zeichen” tragen von Kämpfen unter einander und mit Haien. Einige Jäger ziehen Netze auf ihre Boote, bis am Ende nur noch ein Hauptnetz die Bucht abriegelt. Die verbliebenen rund 70 Tümmler ziehen sich so weit draussen wie möglich in der Nähe des Netzes zurück.
Dann geschieht das, worauf wir seit Tagen gewartet haben. Von draussen kommen die Jagdboote und gehen in Stellung. Fiebrig blicken unsere Augen in Richtung eines Fischers draussen am Felsen. Tatsächlich: Er löst das Netz, und andere beginnen, es einzuziehen. Die Delfine sind frei. Von den Jagdbooten werden sie ins offene Meer getrieben. Einige Jäger schlagen dabei sogar wieder ihre gefürchteten “Lärmstangen” an. “Eine Jagd, aber diesmal eine umgekehrte”, schiesst es mir durch den Kopf. Wir sind Zeugen geworden, wie zum ersten Mal Delfine in Taiji wieder frei gelassen worden sind, statt getötet zu werden. In unsere Verzweiflung über das, was wir haben mit ansehen müssen, mischt sich auch so etwas wie Erleichterung. Was wir soeben gefilmt haben, ist offensichtlich eine erste Frucht des “Gaiatsu” (jap. “Druck von Aussen”). Ein erstes Resultat des unermüdlichen Einsatzes für die Rettung der Delfine rund um Japan von Ric O’Barry – und vielen anderen Menschen.

Unsere Gedanken sind bei den ersten Delfinen von Taiji, die lebend von den Jägern selbst wieder aus der Bucht gelassen wurden. Eine Mischung aus Erleichterung und Beklemmung macht sich breit. 70 Delfine, die noch leben, statt abgeschlachtet und zu blutigen Fleischwürfeln verarbeitet worden zu sein (höchst bedenklich für den menschlichen Konsum übrigens, weil massiv mit Quecksilber belastet). Doch zurück bleibt auch eine Delfinschule, die völlig zerrissen und dezimiert ist, orientierungslos und jeder sozialen Struktur beraubt. Nur zwei Drittel sind übrig geblieben. Die anderen verbleiben in lebenslanger Haft. Oder sie sind bereits tot.

Unvergesslich sind für mich auch die Bilder, wie sich die Männer in den Neoprenanzügen auch im schlimmsten Gewühl völlig angstfrei und unbehelligt unter den Delfinen in der Bucht bewegen konnten. Auch in der grössten Panik und Todesangst haben die Tümmler diese Männer nie angegriffen. Von welchem anderen Tier könnte man dies behaupten? Dabei wären sie ihnen im Wasser haushoch überlegen. Sie könnten einen Menschen rammen und binnen Sekunden töten, wenn sie wollten. Sie sind grösser und weitaus kräftiger als die Menschen. Die Delfine nehmen es problemlos mit jedem Hai auf, wenn es darum geht, die Schule und junge Tiere zu beschützen. Und die Männchen können durchaus heftige Rangkämpfe untereinander austragen. Aber gegen die Menschen setzen sich die wilden Delfine nicht zur Wehr. Selbst dann nicht, wenn sie von diesen gequält werden – und getötet. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Welch ein Mysterium…

Hans Peter Roth

http://blog.oceancare.org/2009/09/17/bericht-aus-japan-update-4.html